Die Nachricht elektrisierte die deutsche Öffentlichkeit im Spätfrühling: Nachdem Total vor einem Jahr wesentliche Teile seines europäischen Tankstellennetzes verkauft hat, meldet die Jet-Muttergesellschaft in ihrem Quartalsbericht, dass die deutschen und österreichischen Jet-Tankstellen zum Verkauf stehen. Was ist los in der Branche? Was bedeutet diese Entwicklung für Pächter und Eigentümer? Die Antworten darauf gibt es!
Der TIV wurde bereits 2012 hellhörig, als es in Österreich hieß, dass OMV seine 28 Tankstellen in Bosnien-Herzegowina an die serbische Gazprom-Tochter Naftna Industrija Srbije verkauft habe. Das war der Beginn der Trend-Welle, die MÖGs beginnen mit der Neuordnung ihrer Vertriebsstrukturen.
Fast zeitgleich zu dem OMV-Deal beginnt die Geschichte Aral/Rewe. Sie erinnern sich! Der riesige Roll-out, vollmundig vom damaligen Aral-Chef proklamiert und mit einer harten Engpass-Kommunikation durchgeboxt („Wer nicht aufspringt, ist nicht dabei.“) legte eine durchwachsene Landung hin. Erst 2019 wurde das gesteckte Ziel von 500 Rewe-to-go-Aral-Tankstellen erreicht, inzwischen sind es rund 800. Die Geburtsschmerzen waren heftig und Aral musste den Vorwurf einstecken, eine laut Wochenzeitschrift DIE ZEIT „Wegwerf-AG“ zu sein, weil ein Gros der Convenience-Produkte im Müllcontainer landete.
Dennoch ist zur Ehrenrettung von Aral festzuhalten: Mit Rewe-to-go hat Aral als erster großer Player des Marktes den ernsthaften und wie es aussieht auch langfristig erfolgreichen Versuch gewagt, das eigene Tankstellennetz in die Zukunft zu führen. OMV, Total und Jet gehen da bequemere Wege und machen Kasse. Big player im Convenience-Geschäft empfangen die Tankstellen anscheinend mit offenen Armen.
Die 285 OMV-Tankstellen gingen zum 1. Mai 2022 für schlappe 485 Mio. € an die britische EG-Group. Die rund 1.200 Total-Tankstellen in Deutschland bereichern dem Vernehmen nach für 3,1 Milliarden das Portfolio der kanadischen Couche-Tard und die 815 Jet-Tankstellen in Deutschland sollen angeblich für etwa die gleiche Summe über den Tisch gehen.
Dabei fällt auf: Die Convenience-Branche hat den Tankstellenmarkt im Fokus. Käufer kommen aus dem Convenience-Geschäft und wetten quasi auf die deutschen Tankstellen.
Die gute Nachricht: Für die Pächter und Eigentümer ändert sich erst einmal gar nichts. Der Sprit fließt weiter wie gewohnt. Die aktuellen Tankstellenverträge schreiben ohnehin die Geschäftsbeziehung fest. Alle, die jetzt Panikmache betreiben, werden den Verdacht nicht los, Beratung versilbern zu wollen. Wer beispielsweise beim TIV organisiert ist, geniest ohnehin die Rückendeckung des Verbandes, auch in juristischen Vertragsfragen.
Doch was da insgesamt läuft, ist schon spannend, zumal sich die Branche nach den Corona-Jahren wieder erholt hat. Was die Tankstelle für den spezialisierten Lebensmittelhandel interessant macht, ist der Shop-Umsatz. Immer wieder werden Studien zitierten, wonach Tankstellen im Schnitt pro Shop-Quadratmeter und Jahr zirka 14.000 Euro umsetzen. Zum Vergleich der Discounter-Platzhirsch Lidl kommt laut einer Studie der Universität Siegen auf lediglich 9.500 Euro Umsatz je Quadratmeter und Jahr.
Sicher, die Miet- bzw. die Immobilienpreise für eine Tankstelle in guter Lage sind teurer als die stylisch aufgemotzten Lidl-Hallen auf der grünen Wiese. Dennoch: Dieses Zahlenspiel hat es in sich. Nicht das Tanken spült das Geld in Kasse, sondern der Shop. Dabei sind die Sprit-Margen der MÖGs mit in Deutschland rund 20 Cent je Liter immer noch nicht schlecht, auch wenn Deutschland im europäischen Margen-Vergleich eher im unteren Drittel steht. Dass die Pächter und Eigentümer mit Provisionen abgespeist werden, die zum Teil sogar noch unter einem Cent je verkauftem Liter liegen, ist ein Skandal für sich.
Die Groß-Verkäufe zeigen: Die Mineralölgesellschaften sehen im Geschäft mit der Mobilität langfristig keine goldene Zukunft mehr und stoßen die Cash-Kuh der vergangenen Jahrzehnte ab. Nur Aral und Shell bauen im Sektor Convenience eine eigene Kompetenz auf. Noch mehr als bisher werden Tankstellenbetreiber zu Logistik-Managern. Es wird bald kein großer Unterschied mehr sein, ob eine Tankstelle oder ein großer Supermarkt zu managen und zu leiten ist. Diese Entwicklung bedeutet aber auch, dass sich Tankstellenbetreiber mit dem Führungspersonal in der Lebensmittelbranche vergleichen können. „Da ist noch ein Schluck aus der Pulle für die Tankstellenbetreiber drin“, weiß TIV-Geschäftsführer Dr. Jochen Wilhelm.
Wiederholt sich die Geschichte
Für die Tankstelle als Institution zeichnet sich eine Entwicklung ab, die mit der guten alten Postkutschenzeit vergleichbar ist. Zur Erinnerung: Wer heute in einer Gaststätte „Zum Rössl“, „Zur Post“ oder ähnlich benamte Hotels oder Restaurants Essengeht oder ein Zimmer bucht, der speist und übernachtet in einem Haus, das historisch gesehen einmal eine Tankstelle war.
Seit der Postkutschenzeit, seit Briefe verschickt wurden, gab es Verkehrsknotenpunkte, an denen Wirtshäuser standen, von denen die Mobilität der guten alten Zeit sichergestellt wurde. Dort wurden Pferde umgespannt wurden und mit Hafer versorgt, dort gab es Essen und einen Schlafplatz für Reisende. Das waren – modern ausgedrückt – „Frequenzimmobilien“. Es waren die Tankstellen des Postkutschenzeitalters.
Dort gab es die Dinge des täglichen Bedarfs für Reisende und die Verpflegung war dabei mit am wichtigsten. Diese heutigen Gaststätten waren von 300 Jahren eben genau solche Frequenzimmobilien wie dies heute die Tankstellen sind. Dass sich der Lebensmittelhandel im großen Stil in die Tankstellenwelt einkauft, kann ein Zeichen sein, dass sich die Geschichte unter modernen Vorzeichen wiederholt.