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Seit April steht beim TIV-Pressesprecher das Telefon selten still: Die Medien wollen wissen, ob HVO, der Diesel aus organischem Material (oft aus Speiseresten und Pflanzenöl), die Zukunft für den Verbrenner und die klassische Tankstelle ist. Die klare Antwort lautet: „Ja“, wenn die Politik in Sachen Klima so fest reagiert wie bei der Energie-Krise nach dem Beginn des Ukraine-Krieges.
Der TIV hat allen Grund sich auf die Schulter zu klopfen, denn seine Prognose ist Wirklichkeit geworden, der Kampf hat sich gelohnt. Seit fast einem Jahrzehnt fordert der Tankstellen-Interessenverband (TIV) für die Tankstelle und für die Mobilität in Deutschland „Technologie-Offenheit“; will heißen: allein auf Elektro setzen, wird sich nicht durchsetzen. Also braucht die mobile Gesellschaft mehrere Energieträger, die Mobilität möglichst CO2-neutral möglich machen. Die sogenannten eFuels waren eine Perspektive, der Wasserstoff eine andere. Jetzt zaubert Deutschland einen schon längst europaweit etablierten Kraftstoff mit Namen HVO aus dem Hut. In Deutschland hat das bisherige Genehmigungsverfahren den Einsatz dieses im Kern pflanzlichen Diesel-Ersatzes verhindert.
Eine Randnotiz dazu: Nahezu zeitgleich mit der Nachricht, HVO zuzulassen, verkündet der Elektroauto-Auto Marktführer Tesla, dass er angesichts einer Nachfrage-Flaute für Elektro-Autos rund zehn Prozent seiner weltweit rund 140.000 Beschäftigten entlässt. Auch das nicht unumstrittene Werk in Grünheide ist betroffen.
Die gesamte Entwicklung zeigt: Viele Wege führen nach Rom, bzw. viele Energieträger werden in Zukunft Mobilität sicherstellen. Der Angebotsmix ist breit: Benzin, Diesel, Gas, Wasserstoff, eFuels, HVO, Raps Bio-Diesel und wer weiß, was sich noch für Perspektiven auftun.
Technologie-Offenheit bedeutet, dass in vielen verschiedenen Richtungen geforscht wird und dass es keine Denk-Blockaden und keine Festlegungen geben darf. Die schweigende Mehrheit der Verbrenner-Freunde in Deutschland hat die als einseitig empfundene Festlegung auf die Elektromobilität als unglücklich empfunden. Mit dem Hochhalten der Fahne für eine Technologie-Offenheit war immer die Sehnsucht nach Kraftstoffen verbunden, die CO2-netral sind und zugleich dem Verbrenner und der Tankstelleninfrastruktur eine Chance geben. Diese Chance ist jetzt da und die Tankstelle entpuppt sich als einzige Verteilungsplattform, die den vielschichtigen Energiemix den Autofahrern anbieten kann.
Der neue HVO-100-Sprit kann sich jedoch nur durchsetzen, wenn der Preis stimmt und HVO als echte Alternative zum klassischen Diesel aus Erdöl erlebt wird. Damit liegt der Ball im Feld der Politik, denn am Markt wird HVO im Einkauf für rund 15 bis 20 EuroCent teurer angeboten als herkömmlicher Diesel.
Die einzige Chance, um CO2-neutralen Kraftstoffen einen großen Aufgalopp zu verschaffen, ist, an der Preisschraube zu drehen. Aus ökologischen Gründen tanken nur Idealisten teurer; die breite Masse der Verbraucher schaut auf den Preis. Das zeigt sich sehr deutlich beim Markt für Elektrofahrzeuge. Wären Elektro-Neuwagen deutlich preiswerter als preisgünstige Autos mit Verbrenner, sähe die Bilanz der verkauften Elektroautos nicht so kläglich aus.
Der Hochlauf für HVO wird von zwei Hürden gebremst: Die mangelnde Motivation der Mineralölgesellschaften und die mangelhafte Entschlossenheit der Politik. Hätte die ohnehin stark gescholtene Ampel gemeinsam Kraft, würde sie genauso entschlossen handeln wie 2022. Damals regierte die Angst. Der Ukraine-Krieg und die Sanktionen gegen Russland ließen die Sprit-Preise auf über zwei Euro springen und die Bundesregierung halbierte die Energiesteuersätze; die Steuer auf Diesel reduzierte sich um 14,04 EuroCent je Liter und die dadurch auch geringere Mehrwertsteuer reduzierte den Preis für Diesel noch einmal. Die Lehre von damals ist: Es geht doch, wenn der politische Wille da ist.
Genau diese Entschlossenheit, diese Anstrengung bräuchte es auch jetzt. Denn eine Steuerreduzierung wie vor zwei Jahren würde HVO im Vergleich zum herkömmlichen Diesel echt konkurrenzfähig machen. Am Ende wird in Sache CO2-Wende im Straßenverkehr – wie so oft – das Geld der entscheidende Faktor sein: Ökologiebewusst Tanken muss sich lohnen, muss finanziell vertretbar sein, so einfach ist das.
Das zweite Thema ist die Interessenslage der Mineralölkonzerne, denn die verdienen bekanntlich entlang der gesamten Lieferkette – vom Bohrloch bis zur Tankstelle. Wenn jetzt ein neuer Player, beispielsweise der HVO-Marktführer Neste aus Finnland mit immerhin 22,9 Milliarden Umsatz in 2023 und dem erklärten Ziel CO2-unschädliche Energieträger zu liefern, am Mark auftritt, gibt es ein Problem. Neste betreibt im finnischen Porvoo die nach eigenen Angaben nachhaltigste Raffinerie Europas. Die MÖGs müssten zum Beispiel bei Neste HVO-Diesel einkaufen, um es an die Tankstellen zu liefern, denn die eigene Potenz in Sache Öko-Diesel ist dürftig. Da wird weniger verdient und deshalb ist die Motivation gering.
Wer aber Druck von unten macht, ist der Tankstellen-Mittelstand, wie zum Beispiel das kleine regionale Mobilitätsunternehmen „Lenz“ im Rhein-Neckar-Kreis. „Lenz“ verkauft Autos und betreibt Tankstellen und weiß sehr genau, was der Markt will. Mit Macht setzt „Lenz“ auf HVO und macht dafür an jeder Tankstelle, an der dies möglich ist, einen Erdtank frei. „Der Verbrenner ist längst nicht tot“, sagt Karin Lenz, Seniorchefin des Hauses (Foto). Sie gibt der Tankstelle eine gute Zukunft, „wenn die Politik endlich besser verstehen würde, wie der Tankstellenmarkt funktioniert“. „Gerade im ländlichen Raum wird sich HVO schnell durchsetzen, wenn der Preis stimmt“, prophezeit Karin Lenz. „Überhaupt wird die Tankstelle im ländlichen Raum von der Politik chronisch unterschätzt. Die Tankstelle entwickelt sich immer mehr zum Rückgrat der alltäglich Versorgungsstruktur in ländlichen Regionen. Und so wie es aussieht sind wir Mittelständler die eigentliche Triebfeder, wenn es um den Marsch in Richtung CO2-Neutralität im Straßenverkehr geht“, so Karin Anne Maria Lenz selbstbewusst.
TIV-Forderung
Der Tankstellen-Interessenverband fordert die Bundesregierung auf, für CO2-Einsparungen im Straßenverkehr sofort die Energiesteuer für HVO-Diesel zu halbieren und mithin um 14,04 EuroCent zu reduzieren. Vorbild für diese Forderung ist der Tankrabatt kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine, der damals genauso gestaltet war. Es geht also, wenn der Wille da ist!
Nachruf
Der Tankstellen-Interessenverband trauert um Otto Henningsen (84).
Gemeinsam mit seiner Frau Gisela führte er die älteste Familientankstelle Deutschlands (1924 – 2000) in Sterup. Er war das nördlichste Mitglied der TIV-Familie.
Der TIV verneigt sich vor einem leidenschaftlichen Tankstellenbetreiber mit Herz und Verstand.
Nachlese im September 2024
Es ist wie vom TIV vermutet: Die Politik pumpt ein Thema auf und wendet sich dann neuen Themen zu. Das HVO-Geschäft dümpelt, die Umsätze sind schlecht. Wer an den neuen Treibstoff geglaubt hat, sitzt auf vollen Erdtanks. Diesel dagegen läuft gut.
Der Mark bewegt sich nur langsam in neue Richtungen und die Menschen brauchen vertrauen, um auf Neues umzusteigen – gerade beim Sprit und der Mobilität. Also braucht es Werbung. Die Mineralölkonzerne werden keine Werbung machen für ein Produkt, das nicht das ihre ist.
Wenn eine Verkehrswende gelingen soll, muss die Politik die Veränderung anschieben, in diesem Fall mit großen Werbekampagnen.